Redaktion infosperber
«Unser tägliches Brot gib uns heute» wird zum Gebet an Nestlé, Bayer und neu an IT-Konzerne. Pat Roy Mooney hatte davor gewarnt.
upg. Die Machtkonzentration der Konzerne macht vor unserem Essen nicht halt. Seit einem halben Jahrhundert kämpft Pat Roy Mooney, 76, für Sicherheit und Gerechtigkeit bei den Lebensmitteln. Bereits 1985 erhielt Mooney den Right Livelihood Award oder den amerikanischen Giraffe Award, einen Preis für Personen «who stick their necks out», also für Menschen, die sich besonders mutig exponieren.
Folgendes Interview stammt aus dem kürzlich erschienen Buch «verwoben und verflochten»*, das Florianne Koechlin herausgab. Zwischentitel von der Redaktion.
78,2 Millionen Hektaren Ackerland in 23 Ländern extrahiert und an die Cloudserver von Microsoft und Amazon weitergeleitet
Koechlin: Seit deinem Vortrag im Jahr 1988 in Basel wurde aus Ciba-Geigy über Umwege Syngenta, die wiederum 2015 von ChemChina geschluckt wurde. Und Syngenta/ChemChina wurde 2021 in Sinochem eingegliedert und ist heute der weltweit grösste Agrokonzern, im Besitz der chinesischen Regierung. Bayer übernahm Monsanto. Und allein seit dem Jahr 2000 kam es zu rund 200 Megafusionen und Übernahmen auf dem Saatgut- und Agrarsektor. Ein solches Tempo hättest wohl nicht einmal du prognostiziert.
Mooney: Es geht noch viel weiter. Heute sind es nicht mehr nur die Agrokonzerne, die eine Rolle spielen, wie das bislang der Fall war. Wir beobachten immer mehr neue biodigitale Giganten, die man im Lebensmittelbereich nicht erwartet hätte, so etwa Amazon, Microsoft, Google oder auch das chinesische Alibaba.
Amazon im Lebensmittelbereich?
Amazon hat Whole Foods Market gekauft, den grössten US-amerikanischen Einzelhändler für Biolebensmittel. Die Firma bewegt sich inzwischen auch entlang der ganzen Lebensmittelkette. Mit den neuen Technologien soll diese vollständig kontrolliert werden, und zwar vom Feld in Kenia über die ganzen Lieferketten bis zum Supermarkt in New York. Mit seinen Blockchain-Technologien und -Systemen verschafft sich der Konzern weltweit Zugang zu den Märkten.
Bayer/Monsanto wiederum unterhält die digitale Plattform FieldView, die 87,5 Milliarden Datenpunkte von 78,2 Millionen Hektaren Ackerland in 23 Ländern extrahiert und sie an die Cloudserver von Microsoft und Amazon weiterleitet.
IBM macht das Gleiche: Mit ihrem Programm IBM Food Trust will sie die Lebensmittelketten mit eigenen Blockchains verbinden und mit Hilfe ihrer Sensoren und Satellitensysteme überwachen und kontrollieren.
Auch Google hat sich im Lebensmittelbereich engagiert und unterstützt Landwirte in Ländern wie Südkorea und auch in China. In Zusammenarbeit mit Alibaba berät Google die Landwirte in allen Bereichen, von Wetter- über Marktinformationen bis hin zur Erteilung wissenschaftlicher Ratschläge zu verschiedenen Kulturen oder Saatgut.
Solche Daten ermöglichen auch eine lückenlose Überwachung und Kontrolle.
Für die globale Lebensmittelsicherheit spielt das Saatgut eine zentrale Rolle. Weltweit soll es 6000 bis 7000 Pflanzensorten geben, die wir essen können. Viele dieser Samen lagern in Saatgutbanken.
Auch hier das gleiche Bild: Die grössten Unternehmen gingen zu allen grossen Saatgut- und Genbanken und machten Duplikate von so ziemlich allem Saatgut und digitalisierten die Informationen.
Digitalisierung heisst in diesem Zusammenhang, dass das Erbgut von Pflanzen mit neuen Techniken entschlüsselt und dann digital gespeichert wird.1
Wer das Saatgut und die Lieferketten kontrolliert, kontrolliert unser Essen
Genau. Ich weiss, dass die niederländische Genbank mindestens sechsmal von Unternehmen kopiert wurde, und zwar vollständig digital. Die Privatisierung solch elementar wichtigen Wissens halte ich für brandgefährlich. Denn wer das Saatgut und die Lieferketten kontrolliert, kontrolliert unser aller Essen. Mit Patenten wird die Privatisierung beschleunigt. Plötzlich wird es möglich, auf Pflanzen, Tieren und Gensequenzen Monopolrechte geltend zu machen.
Fortschritte der Digitalisierung befeuern ja auch die sogenannte Präzisionslandwirtschaft
Das ist ein riesiges Feld. Die Technologien reichen von künstlicher Intelligenz, dem Einsatz von Robotern, Drohnen, Überwachungsequipment, das die Felder und Kulturen beobachtet, bis hin zu Sensoren, die in den Traktoren eingebaut werden, um die Produktion auf dem Feld besser zu kontrollieren.
Auch Satelliten werden ausgesendet, um zu registrieren, welche Pflanzensorten angebaut werden, welche Pestizide und welche Dünger zum Einsatz kommen, vielleicht auch auf den biologischen Anbauflächen.
Überwacht wird die komplette Lebensmittelkette. Das ist per Blockchain gesteuert. Darüber wird der Zugang zu Zahlungen und Verträgen kontrolliert, um sicherzustellen, dass die Felder all jener Landwirte, die eine Versicherung haben, auch per Satellit überwacht werden, und dass diese Versicherung dann tatsächlich in dem Moment einschreitet, wenn bestimmte Grenzwerte der Dürre erreicht werden.2
Ich habe mit vielen Forscherinnen und Experten gesprochen, die zu Mischkulturen forschen und arbeiten – alle meinten sie, digitale Techniken könnten für die Diversität auf dem Feld und für die Agrarökologie eine Chance sein. Solargesteuerte Roboter könnten dereinst autonom Mini-Mischkulturen anlegen.
Drohnen können heute schon zielgenau Schlupfwespen über einem Maisfeld ausbringen, um den Maiszünsler zu bekämpfen. Schlupfwespen statt Insektizide – das tönt doch gut
In einer Welt der Gleichheit, der Gerechtigkeit und des guten Regierens gibt es sicher einige sehr nützliche Technologien in der Präzisionslandwirtschaft. Aber in der Welt, in der wir leben, wird das nicht passieren. Wir wissen letztlich nicht, wer am Ende kontrollieren wird, was in diesen Datenbanken gespeichert ist. Geht diese Kontrolle von den USA aus, von Europa oder von China? Von Amazon, Alibaba oder welchem anderen Konzern?
Ich habe vor einiger Zeit mit einem Biobauern gesprochen, der einen Traktor des US– Maschinenherstellers John Deere gekauft hatte. Er habe im Kaufvertrag unterschreiben müssen, dass alle Daten, die der Traktor auf seinen Feldern in Deutschland erfasse, im John-Deere-Rechenzentrum in Illinois verwertet werden dürften. Das war Bedingung für den Kauf.
Das wusste ich nicht, es wundert mich aber auch nicht. Wir haben viel über John Deere recherchiert. Seine Maschinen sind das ganze Jahr über im Einsatz, von der Aussaat bis zur Ernte und in allen Phasen dazwischen. Mit seinen Sensoren erfassen sie eine Unmenge an Daten.
Der Konzern hat die Daten für Klimabewegungen und Wetterbedingungen, die mindestens bis 2000 und 2002 zurückreichen. Er kann jetzt mit Cargill und anderen um das Wissen über die Marktsysteme konkurrieren. Ich kann mir immer noch vorstellen, dass der grosse Profiteur von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung in der Landwirtschaft ein Unternehmen wie John Deere sein könnte und nicht in erster Linie Bayer/ Monsanto oder Syngenta/ChemChina/Sinochem.
Was können wir angesichts dieser Übermacht tun?
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die weltweite Lebensmittelsicherheit mit dem Aufbau von Resilienz durch Vielfalt und Agrarökologie garantieren können. Wir leben in einem Jahrhundert der Krisen – Klimakrise, Krise der Biodiversität, rapide Erosion fruchtbarer Böden, Hungerkrisen, Kriege.
Oft haben wir es mit schwarzen Schwänen zu tun, also unvorhersehbaren Ereignissen. In Wirklichkeit ist es aber so, dass es nur wenige schwarze Schwäne gibt, das heisst wirklich unvorhersehbare Bedrohungen. Es sind eher graue Schwäne, also Ereignisse, von denen wir wissen, dass sie passieren werden. Wir sind uns sicher, dass es eine neue Wirtschaftskrise und eine grössere Klimakatastrophe geben wird, nur wissen wir nicht genau, wann das sein wird. Wir wissen auch nicht genau, welche Dimension sie annehmen werden.
Gibt es überhaupt Hoffnung?
Ich denke schon, ich bin da nicht so pessimistisch. Das Ziel ist klar: Wir brauchen Ernährungssysteme, die ohne grosse externe Einflüsse auskommen und von der übrigen Welt relativ unabhängig sind. Und ein Lebensmittel-Produktionssystem, das lokal verortet ist. Wir brauchen Saatgutzüchtungen, die an die örtlichen Bedürfnisse angepasst sind.
Um das zu erreichen, sind auch neue Rahmenbedingungen nötig, auf lokaler, nationaler und auf internationaler Ebene. Abkommen, welche die lokale Versorgung unterstützen, und auch Abkommen zur Überwachung, Regulierung oder zum Rückruf von Technologien, die gefährlich sind oder versagen – nicht zuletzt der Big-Data-Systeme, die den Strategien der Agrarindustrie zugrunde liegen.
Kein leichtes Unterfangen
Sicher – es ist darum wichtig, dass wir jetzt Gesetze vorantreiben, die uns befähigen, im Notfall Handelsgesetze zu suspendieren, um die Lebensmittelsicherheit zu garantieren. Der Kampf um den Zugang zu Covid-19-Impfstoffen und gegen die durch Patente geschaffenen Hindernisse hat gezeigt, wie nötig solche Ausnahmeregelungen auch in Zukunft sein werden.
Und angesichts der nicht enden wollenden Krisen der nächsten Jahrzehnte kommt auch den Menschenrechten eine zentrale Rolle zu. Es braucht neue Formen der sozialen Sicherheit, Formen, die umfassend und von der Überwachung durch Big Data abgekoppelt sind. Wir müssen uns aber immer wieder daran erinnern, wer die Mehrheit dieser Welt ernährt: Es sind die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.
Bill & Melinda Gates Foundation führte Institutionen zuweilen an der Nase herum
Du engagierst dich auf globaler Ebene, bei Verhandlungen der UNO, bei der FAO und anderen internationalen Organisationen im Bereich Lebensmittelsicherheit. Bewegt sich dort etwas?
Ja und nein. Ich habe wirklich kein Vertrauen in diese Organisationen. Aber sie sind die einzigen Orte, wo wir als Zivilgesellschaft – das sind verschiedene Nichtregierungsorganisationen und Allianzen, die sich für Ernährungssicherheit und -gerechtigkeit einsetzen3 – hingehen und auf unsere Bedürfnisse aufmerksam machen können, wo wir sehen können, wer hier gewinnen und wer verlieren wird.
Und hier können wir auch Einfluss nehmen. Das Problem ist, dass die UNO, die FAO und andere internationale Organisationen, die für die Ernährungssicherheit zuständig wären, sehr schwach sind. Wir wissen, dass grosse Unternehmen, die Bill & Melinda Gates Foundation und andere Verbündete diese Institutionen mitfinanzieren – und wir haben erlebt, dass sie diese dann an der Nase herumführen und vor sich hertreiben. Auch viele Regierungen haben Angst vor den biodigitalen Giganten und deren Gefolgschaft.
Was gibt dir denn Hoffnung?
Der Zeitpunkt war noch nie so günstig wie jetzt, um auf diese Systeme – und auch die Forschung – Einfluss zu nehmen. Erinnern wir uns: Die Covid-19-Pandemie zeigte die Schwachstellen und die beängstigende Verletzlichkeit globaler Märkte auf. Denken wir an die Lieferkettenblockaden und -engpässe, plötzlich fehlende Ersatzteile, explodierende Kosten für Energie und Lebensmittel oder an die Hungerkrisen.
Überdeutlich wurde dabei auch, dass selbst die Unternehmen keine ausreichende Kontrolle über die Technik haben, die sie verwenden, und auch zu wenig über die Clouds, in denen die Daten gespeichert werden. Microsoft, IBM und alle anderen, die die wichtigen Daten haben, waren und sind auch Opfer von Cyberattacken. Allein im Jahr 2021 kam es in den USA zu 63’000 solchen Attacken.
Ein vollkommen intransparentes und krisenanfälliges System
Genau, das merken langsam auch die biodigitalen Giganten und die Regierungen. Sie sind nicht erfolgreich. Die Bill & Melinda Gates Foundation auch nicht. Sie wissen nicht, wie sie sich in eine sicherere Position bringen, wie sie ihre Interessen wahren und ihre Risiken absichern können. Das wird sie in den nächsten zehn, zwanzig Jahren antreiben.
Darum sind jetzt mit einem Mal Multistakeholder-Ansätze en vogue. Verschiedene Interessengruppen – Unternehmen, Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaftsgremien – finden sich an einem Tisch zusammen und suchen nach Kompromissen.5 Ich glaube, dass heute unser Anliegen, lokale und vielfältige Systeme zu unterstützen, immer mehr Anerkennung findet, auch in internationalen Organisationen. Denn sich auf global vernetzte Lieferketten, Big Data und Just-in-time-Fertigungen zu verlassen, um damit die Welt zu ernähren, das ist keine gute Idee.
*«verwoben und verflochten – Was Mikroben, Tiere und Pflanzen eint und wie sie uns ernähren», Hrsg. Florianne Koechlin, Lenos-Verlag 2024, 32.00 CHF/Euro. Hier bestellen.
Aus dem Verlagstext: «Im Boden pulsiert eine phantastische Vielfalt kleinster Organismen. Sie ermöglichen das Überleben der Pflanzen. Auch wir Menschen hängen von ihnen ab. Mikroben waren schon ein paar Milliarden Jahre auf der Erde, bevor sich anderes Leben entwickelte. Sie »erfanden« fast alles, was das Leben ausmacht. Mit uns sind sie auf das komplexeste verwoben, und dabei sind Kooperation und Konkurrenz oft nicht unterscheidbar, ein Netz von Beziehungen, das sich ständig verändert.
Ameisen beispielsweise sind mitnichten kleine Automaten. Es gibt mutige, faule und ängstliche, und das Funktionieren eines Ameisenhaufens hängt von der Kommunikation untereinander ab. Und Kühe haben eine ausgeprägte Körpersprache, die zu verstehen viel Stress und Arbeit ersparen kann, den Tieren und den Bauern und Bäuerinnen.
Was bedeuten solche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse für unsere Ernährung und für die Landwirtschaft? Florianne Koechlin befragte für ihr neues Buch zahlreiche Expertinnen und Experten und erhielt stets die gleiche Antwort: Vielfalt, Bodengesundheit und lokale Kreisläufe sind das Rezept für morgen.
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FUSSNOTEN
1 In den Genbanken werden sogenannte Digitale Sequenzinformationen(DSI) gespeichert. DSI sind Codes kurzer DNA-Abschnitte oder ganzer Genome von Pflanzen, Mikroorganismen oder Tieren. DSI-Datenbanken sind so etwas wie digitale Bibliotheken des Lebens, in denen nachgeschlagen werden kann, welche Informationen auf welchen Genab- schnitten liegen und welche Wirkungen sie eventuell haben könnten.
2 «Big Data auf dem Bauernhof kann sowohl historische als auch Echtzeit- und prognostizierte Wetterinformationen und Ernteerträge, Rohstoffmarktinformationen, gekaufte und gepflanzte Saatguteinheiten, Inputpreise, Düngerdosierung, Parzellenmessungen und -kartierung, Bodennährstoffgehalt, Bodenkohlenstoffgehalt, Pflanzenfeuchtigkeit usw. umfassen. Die Daten werden gesammelt, gespeichert und mit Hilfe von Algorithmen analysiert, um automatisierte Entscheidungen in den Betrieben zu treffen.» ETC Group (Hg.) 2022b, S. 21.
4 Mit dabei sind unter anderem das Third World Network (TWN), dasinternationale Verhandlungen seit vielen Jahren begleitet. Ein Schwerpunkt von TWN sind Patente. Weitere Organisationen: Ecoropa, ein europäisches Netzwerk für Ökologie, Demokratie und Gerechtigkeit, dessen Präsidentin Christine von Weizsäcker grosse Erfahrung und Kompetenz bei solchen Verhandlungen hat, ferner die Australian Food Sovereignty Alliance sowie Kleinbauernvereinigungen, wie La Via Campesina, und etliche mehr.
5 Pat Roy Mooney sagt: «Man muss aber sehr aufpassen: In solchen Gremien passiert es oft, dass die grossen Unternehmen den Regierungen Entscheidungen vorschlagen, die diese dann der UNO und allen Regierungen zum Absegnen präsentieren. Mit dabei sind dann auch immer ein paar grosse NGOs, um die Dinge besser aussehen zu lassen. Das halte ich für extrem gefährlich. Es geht aber auch anders, wie zum Beispiel der vom Welternährungsausschuss der Vereinten Nationen (CFS) durchgeführte Stakeholder-Ansatz zeigt, der von Anfang an alle Regierungen und die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Agrarindustrie zusammen mit Akademikern und wissenschaftlichen Einrichtungen umfasst. Hier können wir Einfluss nehmen.»
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